Die Nashörner
Premiere am 12. Dezember 2025Schauspielhaus, Großes HausSchauspiel
Über das Stück
Zwei Freunde sitzen vor einem Café, als plötzlich ein Nashorn vorbeirennt. Der eine, Jean, macht seinem Ärger Luft: »Ein frei umherlaufendes Nashorn in der Stadt! Überrascht Sie das nicht? Das müsste verboten werden!« Der andere, der Erzähler dieser Geschichte, ist noch von einem Alkoholexzess am Vorabend benebelt und flüchtet sich in allerlei Vermutungen, woher das Nashorn gekommen sein könnte – aus einem Zoo, den es in der Stadt aber gar nicht gibt, aus einem Zirkus, dito, oder aus irgendwelchen Sümpfen rund um die staubtrockene Siedlung, was ebenfalls sehr unwahrscheinlich ist.
Die Freunde trennen sich, um sich eine Woche später erneut im Straßencafé zu treffen. Wieder rennt ein Nashorn vorbei. Es kommt zu einem Streit darüber, ob es dasselbe Tier ist wie das vor einer Woche gesehene oder ein anderes, ob es ein oder zwei Hörner hat, ob es aus Asien oder Afrika stammt. Nur eine Frage bleibt unerörtert: ob das mehrmalige Auftauchen des Nashorns ein Kuriosum ist oder ein Ereignis, das alles verändern wird.
Eugène Ionescos kurze Erzählung »Die Nashörner« stammt aus dem Jahr 1957, der Autor hat auf dieser Grundlage später noch ein Theaterstück verfasst (das kurz darauf am Düsseldorfer Schauspielhaus uraufgeführt wurde). Die Zeit, so könnte man denken, ist gründlich über beide Texte hinweggegangen. Dabei könnten sie nicht aktueller sein. Sie erzählen von uns, von unserer Zeit, die spürbar ins Rutschen geraten ist und Fragen wie »Überrascht Sie das nicht?« ebenso drängend stellt wie die, ob »das« nicht »verboten werden müsste«. Ja, was? Der namenlose Erzähler in Ionescos Geschichte, der im Theaterstück Bérenger heißt, berichtet davon, wie allmählich ein Nashorn nach dem anderen in der überschaubaren Stadt auftaucht und mit seiner schieren körperlichen Präsenz alles verändert. Am Anfang sind es totgetrampelte Katzen, dann geht eine Bank zu Bruch, auf der sich Bérenger aufhält, als die Nashörner auf ihn zustürmen und er sich mit knapper Not retten kann, schließlich liegt die Treppe in Trümmern, die im Bürogebäude, in dem er arbeitet, vom Erdgeschoss in die obere Etage führt.
Die Freunde trennen sich, um sich eine Woche später erneut im Straßencafé zu treffen. Wieder rennt ein Nashorn vorbei. Es kommt zu einem Streit darüber, ob es dasselbe Tier ist wie das vor einer Woche gesehene oder ein anderes, ob es ein oder zwei Hörner hat, ob es aus Asien oder Afrika stammt. Nur eine Frage bleibt unerörtert: ob das mehrmalige Auftauchen des Nashorns ein Kuriosum ist oder ein Ereignis, das alles verändern wird.
Eugène Ionescos kurze Erzählung »Die Nashörner« stammt aus dem Jahr 1957, der Autor hat auf dieser Grundlage später noch ein Theaterstück verfasst (das kurz darauf am Düsseldorfer Schauspielhaus uraufgeführt wurde). Die Zeit, so könnte man denken, ist gründlich über beide Texte hinweggegangen. Dabei könnten sie nicht aktueller sein. Sie erzählen von uns, von unserer Zeit, die spürbar ins Rutschen geraten ist und Fragen wie »Überrascht Sie das nicht?« ebenso drängend stellt wie die, ob »das« nicht »verboten werden müsste«. Ja, was? Der namenlose Erzähler in Ionescos Geschichte, der im Theaterstück Bérenger heißt, berichtet davon, wie allmählich ein Nashorn nach dem anderen in der überschaubaren Stadt auftaucht und mit seiner schieren körperlichen Präsenz alles verändert. Am Anfang sind es totgetrampelte Katzen, dann geht eine Bank zu Bruch, auf der sich Bérenger aufhält, als die Nashörner auf ihn zustürmen und er sich mit knapper Not retten kann, schließlich liegt die Treppe in Trümmern, die im Bürogebäude, in dem er arbeitet, vom Erdgeschoss in die obere Etage führt.
Die bisherigen Regeln gelten nicht mehr
Das ist ein Kipppunkt in der Geschichte, denn die Treppe erwischt es nicht von ungefähr: Sie zerbirst unter den Tritten eines Kollegen von Bérenger, der sich in ein Nashorn verwandelt hat. Zum ersten Mal erlebt der Erzähler, dass die wüsten Geschöpfe, die die Stadt tyrannisieren, aus der Mitte der Gemeinde stammen. Sie haben sich aus unklaren Gründen verwandelt, ihre unauffällige Existenz eingetauscht gegen ein lautes, zerstörerisches, rücksichtsloses Dasein, das allen bisherigen zivilen Regeln hohnspricht. Dass die Nashörner anfangs in der klaren Minderheit sind, ficht sie nicht an, denn sie werden immer mehr. Umgekehrt bröckelt die Front derer, die das Phänomen mit Unverständnis und Abwehr betrachten, sich auf Gesetz und Ordnung verlassenund den Einbruch der Tiere ins öffentliche Leben als ein Problemauffassen, das sich doch wohl lösen lassen wird, oder bis zum Beweis des Gegenteils leugnen, dass es ein solches Problem überhaupt gibt.
Wie schwach wir darin sind, eine Gefahr zu erkennen, die inmitten unserer Gesellschaft wurzelt und sie fundamental angreift, führt Ionesco in seiner Tierfabel vor, indem er die Gesetze des Genres umkehrt: Wo sonst menschenähnliche Tiere humane Eigenschaften zur Kenntlichkeit bringen, beschreibt der Autor den Einbruch einer antizivilisatorischen Gewalt, die alle Regeln des menschlichen Miteinanders unter der Körperlichkeit der Rhinozerosse begräbt und die Menschen herausfordert.
Wer hat die Gefahr verharmlost?
Und das als schleichender Prozess. Am Anfang sind die Rhinozerosse das Fremde, das andere, das also, was von Menschen wie Jean so vehement abgelehnt wird. Ein Kollege Bérengers, dem der Erzähler die Rolle eines »Logikers« zuspricht, verliert sich dagegen darin, das Phänomen der durch die Stadt galoppierenden Nashörner länglich zu beschreiben und alles zu gewichten, was man darüber weiß. Das sei zwar richtig, sagt der Erzähler, löse aber nicht das Problem«. Andere ergehen sich, als sich die Konturen der Katastrophe abzeichnen, in Schuldzuweisungen: Wer hat die Gefahr verharmlost? Oder sie lehnen sich befriedigt zurück, weil sie vor dem drohenden Unheil gewarnt, aber kein Gehör gefunden hatten. Als ob es darauf nun ankommt, während die Rhinozeroshorden durch die Stadt preschen.
Exakt darum geht es Ionesco, der in den 1930er-Jahren hatte erleben müssen, wie sich die rumänische Gesellschaft immer stärker für totalitäre Ideen öffnete, in seiner Kurzgeschichte und in seinem Theaterstück. Bérenger beobachtet aus der Nähe, wie sich auch sein Freund Jean dem neuen Geist öffnet, dargestellt hier durch die Verwandlung des fiebrigen Mannes, dem ein Horn auf der Stirn wächst und der irgendwann seine Kleider von sich wirft, um nur noch Rhinozeros zu sein. Zuvor kommt es noch zu einer aufschlussreichen Unterredung zwischen Bérenger und seinem längt in einer Metamorphose befindlichen Freund.
Wir als Publikum erleben mit, wie Bérengers Welt vor sich hin bröselt. Als Jean sich in ein Rhinozeros verwandelt, gibt er Bérenger zu bedenken, die Nashörner seien doch »Geschöpfe wie wir, die ebenso wie wir ein Recht haben zu leben«, was niemand bestreiten würde, aber durch die ebenso unbestreitbare Antwort des Erzählers entscheidend relativiert wird: »Unter der Voraussetzung, dass sie das unsere nicht zerstören.« Bei Jean findet das kein erfreuliches Echo, im Gegenteil. Der alte Freund, der schon zuvor eine gewisse Rigorosität kultiviert hatte, wird nach seiner Verwandlung vollends unfähig, andere Meinungen gelten zu lassen. »Ich werde dich zertrampeln!«, sind seine letzten Worte gegenüber Bérenger, der vor ihm die Flucht ergreift.
Man muss mit der Zeit gehen
Natürlich tut, wer sich einer Welle von Mitmenschen gegenübersieht, die von irgendetwas überzeugt sind, gut daran, das eigene Koordinatensystem daraufhin zu befragen, ob es nicht Schwächen aufweist. Auch Ionescos Bérenger trifft fortwährend auf Menschen, die sich begründet dem neuen Geist hingeben. »Man muss mit der Zeit gehen«, sagt Bérengers Chef vor seiner Verwandlung, danach grunzt er nur noch als ein Rhinozeros. Als Bérenger dann irgendwann sein Radio einschaltet und nur noch ebenjenes Nashorngeräusch hört, weiß er, dass er im öffentlichen Raum von der gewohnten Kommunikation abgeschnitten ist.
Zu solchen Umschwüngen gehört naturgemäß, dass man sich fragt, wie man diejenigen, die sich der neuen Diskussions- und Herrschaftsform hingegeben haben, verlieren konnte. Hätte man sie abhalten können, Rhinozerosse zu werden, sich dem großen Grunzen hinzugeben? »Wäre ich nicht gar so grob gewesen, hätte ich ihn rücksichtsvoller darauf aufmerksam gemacht, dann wäre das vielleicht nicht geschehen«, sagt eine Protagonistin der Erzählung, die bald darauf selbst zum Rhinozeros wird. Und Bérenger? Er ist die irritierendste Gestalt in diesem Kontext. Denn je weiter die Handlung fortschreitet, umso verzweifelter wünscht er sich, auch einer der Renegaten zu sein: kräftig, dickhäutig, skrupellos, ein Rhinozeros eben. Aber ausgerechnet ihm bleibt die Flucht in das einfache Weltbild versagt.
Was können Demokratinnen und Demokraten diesem Text entnehmen? Müsste man nicht anerkennen, dass sich in der kleinen Stadt, in der Ionescos Geschichte spielt, eine Mehrheit für ein Dasein als Rhinozeros entschieden hat, samt allen Gepflogenheiten, die das mit sich bringt? Natürlich. Aber es gehört zum Wesen der Demokratie, dass die Rechte der Minderheit, derjenigen also, die das simple Weltbild, die Hauruck-Mentalität der Nashörner, für sich nicht akzeptieren können, unbedingt geschützt werden. Wo das nicht gewährleistet ist, stößt jede Toleranz für die Rhinozerosse an ihre Grenzen. Und dabei – auch das lehrt Ionescos Erzählung –kommt es auf jeden Moment an. Bevor es zu spät ist. Wer will schon ein Nashorn sein?
Die Regisseurin Selen Kara inszenierte am D’haus bereits die Deutsche Erstaufführung von Yasmina Rezas »Serge«. Sie hat u. a. am Theater Bremen, am Nationaltheater Mannheim und am Schauspielhaus Bochum gearbeitet und ist seit 2023 Ko-Intendantin am Schauspiel Essen.