Drei Schwestern
Für die Inszenierung suchen wir musikalische Frauen und weiblich sozialisierte Menschen ab 25 Jahren — Infotreffen am 29. September 2025Premiere im Januar 2026CentralStadt:Kollektiv
Über das Stück
Vier Schwestern am Pool — Eine Tschechow-Fantasie in der Gegenwart — von Laura Naumann
Die Dramatikerin Laura Naumann begibt sich für den Deutschlandfunk regelmäßig auf Exkursionen in den Alltag und beobachtet, was das Leben außerhalb des Theaters so zu bieten hat. Für dieses Heft haben wir sie gebeten, sich mit Tschechows drei Schwestern ins Heute an einen Pool zu versetzen und aufzuschreiben, wie ein solches Treffen verlaufen könnte.
Mit meinen Schwestern am Pool, einmal im Jahr, wir lieben das. Uns wiedersehen, beisammen sein. Klönen, rumclownen, planschen. Dieses Jahr hat Iri ihn ausgesucht, fünfsternetürkis, vom Feinsten, ganz wie Iri selbst, wir bewundern ihn und einander: die Fotos von Maschas Kindern, Olgas neues Implantat, meine ersten grauen Haare. Das Einzige, was stört, ist, dass Iri die ganze Zeit am Handy ist. Wie viele Videos von einem Pool kann ein Mensch machen? Olga sagt, jetzt leg endlich das Ding weg, sonst nehm ich es dir weg, da kommt die Lehrerin in ihr durch, die wird sie nicht los, auch nicht in den Ferien. Seit Jahren schrappt sie knapp am Burnout vorbei, und daran wird auch dieser Pool nichts ändern, der fünfsternetürkise, einmal im Jahr, murrt sie, und wir finden schon alle, dass sie wahnsinnig stur ist und pessimistisch und irgendwie verbittert wirkt, aber sie war noch nie sonderlich an unserem Feedback interessiert.
Mascha zerrt an den Poolliegen rum, sodass die ebenfalls knapp am Burnout vorbeischrappen, sie will, dass sie näher beieinanderstehen, damit wir näher beieinanderliegen können und nicht so brüllen müssen. Sollen nicht alle Gäste dieses Luxusschuppens mitbekommen, was wir zu besprechen haben, am Ende schämen wir uns wieder, weil wir so viele Probleme haben, während andere Leute einfach in Ruhe ein Buch lesen. Mascha schreit, weil sie nicht will, dass jemand mithört, sie ist ein paradoxes Wesen, unsere Mascha. Vielleicht lassen wir die Vergangenheit einfach mal Vergangenheit sein, schlägt Iri vor, so zur Abwechslung. Und konzentrieren uns auf die Zukunft. Ach, die Zukunft, sagt Olga, du meinst Krieg? Den drohenden Faschismus? Altersarmut? Dürren, Tsunamis, marode Infrastrukturen, Menopause, so was, meinst du diese Art von Zukunft? Nein, die meine ich natürlich nicht, sagt Iri säuerlich. Ich meine meine Hochzeit mit meinem perfekten KI-generierten Partner und meinen Durchbruch als Influencerin, diese Art von Zukunft. Verstehe, murmelt Olga verächtlich. Habt ihr die Zehen schon mal reingedippt, schreit Mascha, ist es kalt? Jetzt hör doch mal auf zu brüllen, es ist arschkalt! Vielleicht hilft das gegen die Melancholie! Arschkalt baden! Mascha brüllt weiter: Die Susanne sagt, das ist das Einzige, was sie lebendig hält! Als wäre ihr Lautstärkeregler kaputt. Wer ist denn Susanne, will Olga jetzt wissen, und Mascha wird rot. Meine Zahnärztin. Olga seufzt. Sie wäre auch gern Zahnärztin geworden. Wir alle eigentlich. Wir hätten alle sehr adrette Zahnärztinnen abgegeben, besonders ich. Stattdessen bin ich Autorin von Spielzeithefttexten geworden und knirsche mit den Zähnen. Zwei von uns hassen ihr Leben, die eine heimlich, die andere lautstark, bei uns Jüngsten geht es eigentlich. Wir hatten noch mehr Freiheit in Form von noch mehr Wahlmöglichkeiten und früh wegweisenden Leidenschaften, die nicht dem Gesetz zuwiderlaufen, zumindest bis jetzt nicht. Am besten sollte es eigentlich unserem Bruder gehen. Er steht auf der sonnigen Seite aller Schluchten: Gender, Wealth, Pension, Health, Care, Representation – alle diese Gaps arbeiten zu seinem Vorteil, und noch dazu hat er eine Frau, die alles für ihn regelt, die Nati. Aber unser Bruder, tja, was sollen wir sagen. Online-Poker und Bubatz bestimmen sein Leben, und er hat Angst, dass die Fremden ihm alles wegnehmen.
Mit meinen Schwestern am Pool, einmal im Jahr, wir lieben das. Uns wiedersehen, beisammen sein. Klönen, rumclownen, planschen. Dieses Jahr hat Iri ihn ausgesucht, fünfsternetürkis, vom Feinsten, ganz wie Iri selbst, wir bewundern ihn und einander: die Fotos von Maschas Kindern, Olgas neues Implantat, meine ersten grauen Haare. Das Einzige, was stört, ist, dass Iri die ganze Zeit am Handy ist. Wie viele Videos von einem Pool kann ein Mensch machen? Olga sagt, jetzt leg endlich das Ding weg, sonst nehm ich es dir weg, da kommt die Lehrerin in ihr durch, die wird sie nicht los, auch nicht in den Ferien. Seit Jahren schrappt sie knapp am Burnout vorbei, und daran wird auch dieser Pool nichts ändern, der fünfsternetürkise, einmal im Jahr, murrt sie, und wir finden schon alle, dass sie wahnsinnig stur ist und pessimistisch und irgendwie verbittert wirkt, aber sie war noch nie sonderlich an unserem Feedback interessiert.
Mascha zerrt an den Poolliegen rum, sodass die ebenfalls knapp am Burnout vorbeischrappen, sie will, dass sie näher beieinanderstehen, damit wir näher beieinanderliegen können und nicht so brüllen müssen. Sollen nicht alle Gäste dieses Luxusschuppens mitbekommen, was wir zu besprechen haben, am Ende schämen wir uns wieder, weil wir so viele Probleme haben, während andere Leute einfach in Ruhe ein Buch lesen. Mascha schreit, weil sie nicht will, dass jemand mithört, sie ist ein paradoxes Wesen, unsere Mascha. Vielleicht lassen wir die Vergangenheit einfach mal Vergangenheit sein, schlägt Iri vor, so zur Abwechslung. Und konzentrieren uns auf die Zukunft. Ach, die Zukunft, sagt Olga, du meinst Krieg? Den drohenden Faschismus? Altersarmut? Dürren, Tsunamis, marode Infrastrukturen, Menopause, so was, meinst du diese Art von Zukunft? Nein, die meine ich natürlich nicht, sagt Iri säuerlich. Ich meine meine Hochzeit mit meinem perfekten KI-generierten Partner und meinen Durchbruch als Influencerin, diese Art von Zukunft. Verstehe, murmelt Olga verächtlich. Habt ihr die Zehen schon mal reingedippt, schreit Mascha, ist es kalt? Jetzt hör doch mal auf zu brüllen, es ist arschkalt! Vielleicht hilft das gegen die Melancholie! Arschkalt baden! Mascha brüllt weiter: Die Susanne sagt, das ist das Einzige, was sie lebendig hält! Als wäre ihr Lautstärkeregler kaputt. Wer ist denn Susanne, will Olga jetzt wissen, und Mascha wird rot. Meine Zahnärztin. Olga seufzt. Sie wäre auch gern Zahnärztin geworden. Wir alle eigentlich. Wir hätten alle sehr adrette Zahnärztinnen abgegeben, besonders ich. Stattdessen bin ich Autorin von Spielzeithefttexten geworden und knirsche mit den Zähnen. Zwei von uns hassen ihr Leben, die eine heimlich, die andere lautstark, bei uns Jüngsten geht es eigentlich. Wir hatten noch mehr Freiheit in Form von noch mehr Wahlmöglichkeiten und früh wegweisenden Leidenschaften, die nicht dem Gesetz zuwiderlaufen, zumindest bis jetzt nicht. Am besten sollte es eigentlich unserem Bruder gehen. Er steht auf der sonnigen Seite aller Schluchten: Gender, Wealth, Pension, Health, Care, Representation – alle diese Gaps arbeiten zu seinem Vorteil, und noch dazu hat er eine Frau, die alles für ihn regelt, die Nati. Aber unser Bruder, tja, was sollen wir sagen. Online-Poker und Bubatz bestimmen sein Leben, und er hat Angst, dass die Fremden ihm alles wegnehmen.
Mascha zerrt an den Poolliegen rum, sodass die ebenfalls knapp am Burnout vorbeischrappen, sie will, dass sie näher beieinanderstehen, damit wir näher beieinanderliegen können und nicht so brüllen müssen. Sollen nicht alle Gäste dieses Luxusschuppens mitbekommen, was wir zu besprechen haben, am Ende schämen wir uns wieder, weil wir so viele Probleme haben, während andere Leute einfach in Ruhe ein Buch lesen. Mascha schreit, weil sie nicht will, dass jemand mithört, sie ist ein paradoxes Wesen, unsere Mascha. Vielleicht lassen wir die Vergangenheit einfach mal Vergangenheit sein, schlägt Iri vor, so zur Abwechslung. Und konzentrieren uns auf die Zukunft. Ach, die Zukunft, sagt Olga, du meinst Krieg? Den drohenden Faschismus? Altersarmut? Dürren, Tsunamis, marode Infrastrukturen, Menopause, so was, meinst du diese Art von Zukunft? Nein, die meine ich natürlich nicht, sagt Iri säuerlich. Ich meine meine Hochzeit mit meinem perfekten KI-generierten Partner und meinen Durchbruch als Influencerin, diese Art von Zukunft. Verstehe, murmelt Olga verächtlich. Habt ihr die Zehen schon mal reingedippt, schreit Mascha, ist es kalt? Jetzt hör doch mal auf zu brüllen, es ist arschkalt! Vielleicht hilft das gegen die Melancholie! Arschkalt baden! Mascha brüllt weiter: Die Susanne sagt, das ist das Einzige, was sie lebendig hält! Als wäre ihr Lautstärkeregler kaputt. Wer ist denn Susanne, will Olga jetzt wissen, und Mascha wird rot. Meine Zahnärztin. Olga seufzt. Sie wäre auch gern Zahnärztin geworden. Wir alle eigentlich. Wir hätten alle sehr adrette Zahnärztinnen abgegeben, besonders ich. Stattdessen bin ich Autorin von Spielzeithefttexten geworden und knirsche mit den Zähnen. Zwei von uns hassen ihr Leben, die eine heimlich, die andere lautstark, bei uns Jüngsten geht es eigentlich. Wir hatten noch mehr Freiheit in Form von noch mehr Wahlmöglichkeiten und früh wegweisenden Leidenschaften, die nicht dem Gesetz zuwiderlaufen, zumindest bis jetzt nicht. Am besten sollte es eigentlich unserem Bruder gehen. Er steht auf der sonnigen Seite aller Schluchten: Gender, Wealth, Pension, Health, Care, Representation – alle diese Gaps arbeiten zu seinem Vorteil, und noch dazu hat er eine Frau, die alles für ihn regelt, die Nati. Aber unser Bruder, tja, was sollen wir sagen. Online-Poker und Bubatz bestimmen sein Leben, und er hat Angst, dass die Fremden ihm alles wegnehmen. Davon ist er so besessen, dass er gar nicht mitkriegt, wie sich die echte, die reale Nati hier überall und zwischen uns ausbreitet. Sich an unseren Kleiderschränken bedient. Unsere Witze macht. Sich sogar zu unserem jährlichen Schwestern-Trip eingeladen und ganz frech ein Zimmer neben unserem gebucht hat. Dort mussten wir sie dann leider einsperren, denn so weit kommt’s noch, dass sich eine einfach Sister nennt und schwesterliche Privilegien aneignet, die gar keine Schwester ist.
Einen Moment ist es still, und sofort langweilt sich Olga. Iri ist noch immer am Handy. In wenigen Minuten will sie live gehen und ihrer Community von Süßmäusen ihre süßen Sisters vorstellen. Mascha geht noch einmal ihren Monolog durch, in dem sie von einem dystopischen Erwachen mit 45 Jahren in einer Hannoveraner Innenstadtwohnung erzählen will, basierend auf einer wahren Geschichte, in der die Ehefrau ihren Ehemann neben sich im Bett als Fremden erkennt und ihr einfach nicht mehr einfallen will, welche Entscheidung sie an diesen Punkt geführt hat. Sie fragt sich, wo ist sie nur gewesen all die Jahre, was hat sie gedacht oder gefühlt oder überhaupt gemerkt? Und in einem Anfall von Wahn versucht sie dann, ihre beiden Kinder, die im Nebenzimmer schlafen, aus dem Fenster zu werfen, dabei liebt sie die doch, die Kinder, eigentlich sehr sogar. Schrecklich, einfach schrecklich, zum Glück leben sie im Erdgeschoss. Alter, bist du Schauspielerin, fragt Iri mit Tränen in den Augen. Olga hüstelt. Bist du dir sicher, hüstel, dass du mit dieser Geschichte in die Öffentlichkeit gehen willst? Sie beginnt stattdessen über unsere Mutter zu monologisieren, die vor genau einem Jahr gestorben ist: Alles ist sofort wieder da – ihr Autopilot der Aufopferung, ihre unterdrückte Wut, dazu ihr süßlicher Geruch. Klingt eigentlich genau wie du, Olgi, sag ich, und: Wird die Vergangenheit jemals aufhören? Aufhören, sich immer wieder in uns und zwischen uns abzuspielen?
Ein Mitarbeiter des Hotels bearbeitet den Poolbereich mit einem Laubbläser. Hier liegt überhaupt nirgends Laub, es ist August. Und du, fragt Iri mich, womit willst du dich im weltweiten Web präsentieren, womit in die Geschichte eingehen? Ich könnte mit einem kleinen Impulsreferat über die Sehnsucht von vier Schwestern einen Eindruck hinterlassen, sage ich. Jedes Jahr, wenn die ersten Blätter fallen, kommt sie mit einer solchen Heftigkeit, dass ich drauf und dran, kurz und klein, auf und davon bin. Die Stadt verlassen. Meinen Namen ändern. Meinen Beruf. Meine Gestalt. Alles kaputt schlagen, was ich mir aufgebaut habe. Endlich radikal werden. Dann setzt die Winterdepression ein. Und alles bleibt, wie es ist. Eine Weile ist es still, dann geht der Laubbläser wieder an, diesmal in einiger Entfernung. Originell, sagt Olga, ich nenne das Herbst.
Katharina Bill ist Performerin, Regisseurin und Fettaktivistin. Sie entwickelt Theaterprojekte, zuletzt u.a. am Theater Bremen, dem Theater Oberhausen und dem Deutschen Theater Berlin. In Düsseldorf will sie mit ihrer Version der »Drei Schwestern« eine Zeitreise in unsere Gegenwart unternehmen. Hierfür sucht sie musikalische Frauen und weiblich sozialisierte Menschen ab 25 Jahren.