Krieg und Frieden
Premiere im Februar 2026Schauspielhaus, Großes HausSchauspiel
Über das Stück
Sittengeschichte, Historienschinken, Netflix-Saga — Über die dramatisierte Version eines großen Klassikers — von Bearbeiter Armin Petras
Mit »Krieg und Frieden« schuf der Pazifist Lew Tolstoi das Panorama einer ganzen Gesellschaft zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Das Werk ist eine Mischung aus Fiktion, historischer Darstellung und philosophischer Abhandlung, die weit in unsere konfliktreiche Gegenwart hineinragt. Regisseur Tilmann Köhler, der am D’haus zuletzt »Kleiner Mann – was nun?« von Hans Fallada inszenierte, wird den Text, der zu den zentralen Werken der Weltliteratur zählt, als große Ensembleproduktion zur Aufführung bringen. Armin Petras hat hierfür ein Stück geschrieben, für das er den Originaltext von Lew Tolstois Opus magnum verwendet hat. Wir drucken Gedanken zur Fassung aus seinen Arbeitsnotizen.
dwischenie (bewegung)
die wichtigste mitteilung ist die idee der geschwindigkeit / nach schleef ist der chor bzw. der chorersatz bei shakespeare die geschwindigkeit der abfolge der szenen und handlungsstränge / ich denke genauso würde ich das auch hier vorschlagen erschaffen zu wollen / die netflix-artige organisation der figuren szenen und tableaus ist der gewollte sprung in eine verdichtung der wirklichkeit / die natürlich nur die abbildung vermuteter ähnlicher realitäten ist / diese realität verfolgt viele figuren über einen zeitraum von 1805 bis ca. 1813 also fast ein jahrzehnt / das führt zu kontinuitäten und genauso abwechslungen im figurenkanon / die szenen werden nie! zu ende auserzählt / sie bleiben skizzen / steigen manchmal am anfang oder in der mitte ein / zeigen ausschnitte spektren / arbeitenmit auslassungen und natürlich mit der mitarbeit des publikums / als mitschöpfer des geschehens / die wichtigste anleihe neben den dialogen sind regieanweisungen und vorgeschlagene requisiten die den standort / die modifikation und das genre der szenen andeuten sollen
woina (krieg
für mich war die wichtigste erkenntnis der lektüre dass krieg eben wirklich ein politisches und privates phänomen ist / oder klarer ausgedrückt der krieg findet überall statt an der front in der schule im ehebett und genauso auf »arbeit« wie beim ball oder in der oper / die menschlichen (und wahrscheinlich auch die tierischen) prozesse sind kriegerisch organisiert / es geht um kampf zwischen den staaten den klassen den geschlechtern den altersklassen und vielen vielen ebenen mehr / der kampf wird geführt mit worten / aktionen / waffen / betrug / verdrängung / mit list und fallen / mit liebe und sehnsucht / alles sind mittel um zu herrschen zu siegen / die eigene position zu verbessern / interessanterweise aber kommt es durch kriegerische prozesse auch zu »lernerfolgen« zu veränderungen von individuellen vorstellungen aber genauso von gruppen oder nationalen vorstellungen / das besonders schnell zu erkennende (in der prokofjew-fassung noch deutlicher herausgearbeitet) ist dass es durch den »vaterländischen (russischen) krieg« ein temporäres zusammenrücken der verschiedenen personengruppen und klassen russlands gegeben hat / insbesonder durch die erstmalige beteiligung von »bauern-soldaten« also einheiten von relativ freiwillig kämpfenden leibeigenen
dwischenie (bewegung)
die wichtigste mitteilung ist die idee der geschwindigkeit / nach schleef ist der chor bzw. der chorersatz bei shakespeare die geschwindigkeit der abfolge der szenen und handlungsstränge / ich denke genauso würde ich das auch hier vorschlagen erschaffen zu wollen / die netflix-artige organisation der figuren szenen und tableaus ist der gewollte sprung in eine verdichtung der wirklichkeit / die natürlich nur die abbildung vermuteter ähnlicher realitäten ist / diese realität verfolgt viele figuren über einen zeitraum von 1805 bis ca. 1813 also fast ein jahrzehnt / das führt zu kontinuitäten und genauso abwechslungen im figurenkanon / die szenen werden nie! zu ende auserzählt / sie bleiben skizzen / steigen manchmal am anfang oder in der mitte ein / zeigen ausschnitte spektren / arbeitenmit auslassungen und natürlich mit der mitarbeit des publikums / als mitschöpfer des geschehens / die wichtigste anleihe neben den dialogen sind regieanweisungen und vorgeschlagene requisiten die den standort / die modifikation und das genre der szenen andeuten sollen
woina (krieg
für mich war die wichtigste erkenntnis der lektüre dass krieg eben wirklich ein politisches und privates phänomen ist / oder klarer ausgedrückt der krieg findet überall statt an der front in der schule im ehebett und genauso auf »arbeit« wie beim ball oder in der oper / die menschlichen (und wahrscheinlich auch die tierischen) prozesse sind kriegerisch organisiert / es geht um kampf zwischen den staaten den klassen den geschlechtern den altersklassen und vielen vielen ebenen mehr / der kampf wird geführt mit worten / aktionen / waffen / betrug / verdrängung / mit list und fallen / mit liebe und sehnsucht / alles sind mittel um zu herrschen zu siegen / die eigene position zu verbessern / interessanterweise aber kommt es durch kriegerische prozesse auch zu »lernerfolgen« zu veränderungen von individuellen vorstellungen aber genauso von gruppen oder nationalen vorstellungen / das besonders schnell zu erkennende (in der prokofjew-fassung noch deutlicher herausgearbeitet) ist dass es durch den »vaterländischen (russischen) krieg« ein temporäres zusammenrücken der verschiedenen personengruppen und klassen russlands gegeben hat / insbesonder durch die erstmalige beteiligung von »bauern-soldaten« also einheiten von relativ freiwillig kämpfenden leibeigenen
schenschschina (frau)
als drittes wichtiges element / welches in der fassung mit einem großen moment der aufmerksamkeit verdeutlicht werden soll / sind die eigentlichen heldinnen der geschichten tolstois zu nennen / (die frauen) sie sind anlass der handlungen / motiv und selber handelnde / (wie schon in »anna karenina« und später in einer anderen art und weise aber ähnlich intensiv in »auferstehung«) das »selberhandeln« ist relativ neu in der russischen welt / noch im 18. jh. waren frauen beiwerk / schmuck / notwendiger zusammenhang / im 19. jh. besetzten frauen die vorstände der häuser (ähnlich wie in »eugen onegin« die gutsherrin) und die clubs in den städten / die russische literatur aber auch die musik und die malerei sind vorrangig für frauen (adelige) angefertigt worden / frauen waren es / die von der erwerbsarbeit / hausarbeit und erziehungsarbeit hauptsächlich befreit / sich den schönen künsten widmen konnten / der salon der madame scherer war ein zentraler kommunikationspunkt der stadt / hier fanden gespräche / dinner / partys / aber eben vor allem auch lesungen statt / und konzerte / puschkin lermontow gogol schrieben für diese clubs für lesungen und für mäzeninnen / madame scherer ist die erzählerin / produzenten der zivilen welten st. petersburgs und später auf reisen / auch in den anderen privaten und semiprivaten orten der erzählung / logisch dass die eher pazifistischeren momente aus der weiblichen welt kommen / sie sind kaum nutznießer von militärischen kriegerischen handlungen
der russische roman
der russische roman der letzten 200 jahre beruht darauf dass er nicht nur eine kompilation von storys / ereignissen ist (ähnlich dem europäischen und nordamerikanischen) / sondern etwas ganz anderes – ein kompendium von welt! / er ist in der tat so etwas wie eine ikone / er ist flach groß umfangreich / er ist ein symbolisches zeichengemälde das vor allem eines sucht / das leben des russischen menschen abzubilden und es dadurch zu erklären / man könnte meinen dass umberto ecos theorie vom offenen kunstwerk zumindest bei dostojewskij und tolstoi längst realität geworden ist / dostojewskijs werke sind psychogramme thriller und kriminalromane in einem / genauso wie tolstois romane sittengeschichte historienschinken und moralkunde zugleich sind / ein land das 200 jahre keine bürgerliche »demokratie« besessen hat braucht wohl genau diese form des diskurses / egal ob die bücher 10 oder 40 jahre nicht veröffentlicht werden konnten (siehe bulgakow grossman oder solschenizyn) / sie haben eine bedeutung für alle im land und sie reden zum russischen volk und miteinander
der chor der offiziere
stellt das gegenstück zu madame scherer (als erzählerin) dar / im krieg und beim militär sind frauen (noch) nicht zugelassen / diese orte sind reine männerorte (mit gelegentlichen ausnahmen) an denen sich eine gruppe (der chor) von männlichen menschen bildet / die nach eigenen regeln (kriegerischen/archaischen) gesellschaft organisiert / die bildung des chores ist zur stärkung des HEERES / aber auch zur anfertigung einer MYTHOLOGISCHEN ERZÄHLUNG nötig / kein krieg ohne erzählung / PROPAGANDA / die abwesenheit der frau / geliebten / mutter / schwester führt zu einer existenziellen einsamkeit / die kompensiert werden muss durch BRIEFE / RITUALE (ordensverleihung / fahnenappell …)
2 erzählungen
so kommt es fast durchgängig zum gegensatz einer bürgerlichen HEIMAT-erzählung / familie / wohnung / landgüter … und einer archaischen FREMD-erzählung / krieg / ausland / reise / offiziersclub … / diese beiden erzählungen mit unterschiedlichen erzählenden (chor versus anna scherer) wechseln sich permanent ab / an ihren gelenken / kreuzungen wird der schmerz / das drama am sichtbarsten
Regisseur Tilmann Köhler, geboren 1979, inszenierte u. a. am Deutschen Theater Berlin, an der Oper Leipzig, am Residenztheater München sowie am Theater Basel. Außerdem war er Hausregisseur am Deutschen Nationaltheater Weimar und am Staatsschauspiel Dresden. Seine Regiearbeiten wurden auf vielen nationalen und internationalen Festivals gezeigt (u. a. Berliner Theatertreffen, Radikal jung, Mülheimer Theatertage) und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Zuletzt inszenierte Tilmann Köhler in Düsseldorf »Kleiner Mann – was nun?« von Hans Fallada.
Besetzung
Unterstützung
Mit freundlicher Unterstützung der Dr. Jürgen Trautvetter und Dr. Hermann Brückner-Stiftung.