Verbrennungen
Deutsch von Uli MenkeInfotreffen am 30. Oktober 2025Premiere im März 2026Schauspielhaus, Kleines HausStadt:Kollektiv
Über das Stück
Es muss sie einfach geben, diese anderen Geschichten, die uns an einen Frieden glauben lassen — Gedanken des Autors Wajdi Mouawad und des Regisseurs Bassam Ghazi auf Fragen von Dramaturgin Birgit Lengers
Den Autor Wajdi Mouawad und den Regisseur Bassam Ghazi verbinden existenzielle Erfahrungen, aber begegnet sind sie sich noch nicht. Beide haben sich zu ihren Lebensthemen geäußert: die Macht der Kunst, Herkunft und Exil.
Sie beide sind im Libanon geboren und waren durch den Bürgerkrieg gezwungen, Ihr Heimatland in Ihrer Kindheit zu verlassen. Wann fand Ihre erste Begegnung mit der Kunst statt?
Wajdi Mouawad — Meine Beziehung zum Schreiben begann in der Pubertät, etwa im Alter von 15 Jahren, als ich erste Texte verfasste. Aber die Wurzeln reichen viel weiter zurück. Im Libanon habe ich schon viel gezeichnet und gemalt. Ich fing erst an zu reden, als ich sieben war. Zeichnen und Malen waren eine Art, mich auszudrücken, ohne sprechen zu müssen. In der kleinen Wohnung, die ich in Frankreich bewohnte – meinem ersten Gastgeberland von 1978 bis 1983 –, fand der Wechsel zur Literatur statt.
Bassam Ghazi — Ich bin erst am anderen Ende der Welt in Kontakt mit der Kunst gekommen. Irgendwo in Bolivien habe ich vor 25 Jahren ein Theaterprojekt mit Straßenkindern entdeckt. Diese jungen Menschen haben mit dem Theater einen Weg gefunden, ihre Geschichten zu teilen. Dort habe ich zum ersten Mal die Kunst als freien Raum erlebt, der aufrichtige Begegnung und visionären Austausch ermöglicht. Ich habe dort gelernt, dass Kunst viel mit Aufmerksamkeit zu tun hat. Eine Aufmerksamkeit, die wir uns Menschen leider zu selten schenken. Zum Glück gibt es im Theater die Verabredung zur Aufmerksamkeit.
Sie beide sind im Libanon geboren und waren durch den Bürgerkrieg gezwungen, Ihr Heimatland in Ihrer Kindheit zu verlassen. Wann fand Ihre erste Begegnung mit der Kunst statt?
Wajdi Mouawad — Meine Beziehung zum Schreiben begann in der Pubertät, etwa im Alter von 15 Jahren, als ich erste Texte verfasste. Aber die Wurzeln reichen viel weiter zurück. Im Libanon habe ich schon viel gezeichnet und gemalt. Ich fing erst an zu reden, als ich sieben war. Zeichnen und Malen waren eine Art, mich auszudrücken, ohne sprechen zu müssen. In der kleinen Wohnung, die ich in Frankreich bewohnte – meinem ersten Gastgeberland von 1978 bis 1983 –, fand der Wechsel zur Literatur statt.
Bassam Ghazi — Ich bin erst am anderen Ende der Welt in Kontakt mit der Kunst gekommen. Irgendwo in Bolivien habe ich vor 25 Jahren ein Theaterprojekt mit Straßenkindern entdeckt. Diese jungen Menschen haben mit dem Theater einen Weg gefunden, ihre Geschichten zu teilen. Dort habe ich zum ersten Mal die Kunst als freien Raum erlebt, der aufrichtige Begegnung und visionären Austausch ermöglicht. Ich habe dort gelernt, dass Kunst viel mit Aufmerksamkeit zu tun hat. Eine Aufmerksamkeit, die wir uns Menschen leider zu selten schenken. Zum Glück gibt es im Theater die Verabredung zur Aufmerksamkeit.
Welchen Raum nehmen das Theater und die Literatur heute in Ihrem Leben ein?
Bassam Ghazi — Ich bin unermüdlich auf der Suche nach Geschichten, die Hoffnung geben, Trost spenden, uns ermutigen. Ich brauche sie für meine Widerstandskraft in dieser Welt voller Hetze, Hass und nicht endenden Kriegen. Sie helfen mir, nicht aufzugeben, nicht zu verzweifeln. Es muss sie einfach geben, diese anderen Geschichten, die uns wieder an einen Frieden glauben lassen.
Wajdi Mouawad — Ich denke den ganzen Tag über das nach, was ich schreiben könnte. Es gibt nichts anderes, was mich interessiert. Auch wenn ich schlafe, denke ich darüber nach. Ich weiß nicht, ob ich es gut mache, aber ich weiß auch nicht, wie ich etwas anderes machen könnte.
Inwiefern beeinflussen Herkunft und Exilerfahrung Ihre künstlerische Arbeit?
Bassam Ghazi — Ich stehe immer wieder vor der Frage: Was war zuerst da, ich oder meine Geschichte? Kurz nach meiner Geburt in Tel al-Zaatar begann der Bürgerkrieg im Libanon. Als ich gerade mal sechs Monate alt war, flüchteten meine Eltern mit mir aus dem Libanon nach Deutschland. Meine Familie mütterlicherseits ist nach Kanada ins Exil gegangen. Im Alter von neun bis zwölf Jahren habe ich dann wieder drei Jahre in Beirut gelebt und den Krieg hautnah miterlebt. Ich pendle zwischen den Kulturen und Perspektiven und betreibe in meiner Theaterarbeit Handel mit Geschichte und Geschichten. Ich bin dabei immer auf der Suche nach einer Verbindung zwischen der individuellen und der kollektiven Geschichte.
Wajdi Mouawad — Ich studierte Shakespeare und Tschechow, aber das waren nicht meine Geschichten. Also beschloss ich, selbst eine Geschichte zu schreiben, die nicht nur meine, sondern die von Tausenden anderen Libanes:innen war. Ich entschied mich, die Geschichte eines Jungen im Exil zu erzählen.
2003 entstand »Verbrennungen«, ein Drama, das die Themen Identität und Erinnerung, Gewalt und Familiengeheimnisse künstlerisch untersucht. Das Stück erzählt die Geschichte der Zwillinge Jeanne und Simon, die mit dem Testament ihrer kürzlich verstorbenen Mutter einen Auftrag erhalten: Sie sollen ihren Bruder und ihren Vater finden. Sie begeben sich auf eine Reise in den Nahen Osten, wo sie mit der Vergangenheit ihrer Mutter konfrontiert werden. Worin liegt die Motivation, das Stück jetzt auf die Bühne zu bringen?
Bassam Ghazi — »Verbrennungen« bedeutet mir sehr viel. Das Stück ist ein Teil meiner Geschichte, und es jetzt zu inszenieren, ist mein Versuch, einen Ausdruck zu finden für diese unfassbare Gewalt im Libanon, die mich seit meiner Geburt begleitet. Fucking 50 Jahre lang! Wie werden die Spieler:innen und das Publikum mit auf diese auch persönliche Reise genommen?
Bassam Ghazi — Ich frage mich eher, wie lassen sich die Geschichten des Ensembles mit dem dramatischen Text verbinden? Mir geht es dabei um die Beglaubigung der Geschichte durch die Repräsentation der beteiligten Menschen auf der Bühne.
An welche Wirkung Ihrer Kunst glauben Sie bzw. auf welche hoffen Sie?
Wajdi Mouawad — Ich war vier Jahre lang Opfer des Kriegs, dann ging ich ins Exil. Ich wurde Zeuge des Schweigens meiner Eltern und von Erwachsenen im Allgemeinen. Ich sah, was der Krieg ihnen angetan hat. Ich erlebte politisches Schweigen. Eine Aufarbeitung wie im Nachkriegsdeutschland hat im Libanon nie stattgefunden. Für mich ist Schreiben nicht nur ein kultureller Akt. Dahinter steckt noch etwas anderes. Wir müssen unsere Geschichte erzählen, es ist auch ein Akt der Anerkennung und Würdigung. Die Macht der Literatur liegt nicht nur in der Macht der Worte, sondern auch in der Vorstellungskraft. Es ist das Imaginäre, das Abstand schafft, die Zuschauer:innen befreit. Kunst bietet kurz gesagt ein therapeutisches Ventil, das ich als Katharsis beschreiben würde.
Bassam Ghazi — Im geschützten Rahmen des Theaters erlebe ich auch diese unglaubliche Freiheit. Aber es gibt immer wieder schmerzhafte Momente, in denen wir uns gegenseitig trösten müssen, angesichts der unfassbaren Brutalität dieser Welt. Aus diesem Schmerz wächst eine Kraft, sich an der Wirklichkeit abzuarbeiten und Trost und Hoffnung mit dem Publikum zu teilen.
In welchem Verhältnis stehen Kunst und Wirklichkeit?
Wajdi Mouawad — Literatur ist eine Möglichkeit, das Unvorstellbare zu beschreiben, eine Form der Wahrheit zu berühren. In diesem Streben nach dem Wahren kommen vielleicht Wissenschaft und Literatur zusammen: Beide versuchen – jede auf ihre Weise –, den Moment zu erreichen, in dem wir uns jenseits der Realität befinden und der somit wahrer ist als die Wirklichkeit selbst.
Bassam Ghazi — Theater ist Beziehungsarbeit, um Vertrauen zueinander und zu sich selbst zu schaffen. Im Team beginnt eine kollektive Reise, bei der niemand so genau weiß, wo wir am Ende landen werden. Das ist der utopische Moment. Ich glaube, dass die Kraft des Theaters – diese gemeinsame Verabredung für eine bestimmte Zeit in einem gemeinsamen Raum – tröstet und heilt. Theater kann ermutigen, an die eigenen Abgründe zu treten, das Schweigen zu brechen und dieses Sprechen als Akt der Befreiung zu erleben.
Bassam Ghazi ist Regisseur und leitete von 2021 bis 2024 gemeinsam mit Birgit Lengers das Stadt:Kollektiv. 1974 im Libanon geboren, hat er ein besonderes Interesse für interkulturelles und postmigrantisches Theater. Am D’haus inszenierte er neben »Dschinns« von Fatma Aydemir und »Solingen 1993« (ausgezeichnet mit dem Deutschen Theaterpreis Der Faust) zuletzt »Romeo und Julia« nach William Shakespeare.
Besetzung
Regie Bassam Ghazi
Bühne Paulina Barreiro
Kostüm Maria Lucía Otálora
Video Lev Gonopolskiy
Dramaturgie Birgit Lengers