Digitales Programmheft
»Peer Gynt«
Zum Stück
Für »Peer Gynt« schöpfte Henrik Ibsen (1828–1906), der nach Shakespeare weltweit meistgespielte Dramatiker, aus einer Vielzahl an Quellen. Autobiografische Erinnerungen an die Kindheit in der Küstenstadt Skien, zeitpolitische Ereignisse, nordische Märchen, Goethes »Faust«, die Philosophie Hegels, »Gullivers Reisen« von Jonathan Swift, das epische Gedicht »Adam Homo« des dänischen Dichters Frederik Paludan-Müller sowie Adam Oehlenschlägers Versdrama »Aladdin« sind als wichtige Einflüsse zu nennen. Aus ihnen formte Henrik Ibsen ein motivisch überbordendes Werk, das Staunen macht. Seine Fülle an Figuren, Symbolen und Allegorien lädt zu vielfältigen Interpretationen ein.
Im Zentrum des Stückes steht der Geschichtenerzähler, Träumer und Lügenschmied Peer Gynt, der das Leben voll auskostet. Auf der Suche nach seinem Ich bereist er die halbe Welt, um am Ende eines langen Lebens festzustellen, dass er wie eine Zwiebel viele Schichten hat, aber keinen Kern – nie ist er bei sich selbst angekommen.
Bernadette Sonnenbichlers Inszenierung löst die Chronologie des Ursprungstextes aus dem 19. Jahrhundert zugunsten einer assoziativen Traumlogik auf: Als Peer Gynt, Lebemann und selbst ernannter Kaiser, in der Mitte seines Lebens durch eine tödliche Krankheit aus der Bahn geworfen wird und ihm am Krankenbett ein rätselhafter Besucher erscheint, versucht Peer Gynt das Sterben noch ein wenig hinauszuzögern. Er verzweifelt, jammert, wütet, verhöhnt den Tod und klammert sich mit aller Kraft ans Leben. Er, der sich zeitlebens durch die Flucht in die Fantasie jeder Festlegung und Verpflichtung entzogen hat, begibt sich auf eine Reise in die eigene Seelenlandschaft, um zu ergründen, was ihn im Innersten ausmacht. Ein letztes Mal spielt Peer Gynt die Rollen seines Lebens. Unterwegs trifft er auf zahlreiche andere Figuren, die sich als Spiegelungen, Facetten, Abspaltungen seiner selbst, als sein innerer Hofstaat entpuppen. Denn so viel steht fest – wenn es ein Ich gibt, dann existiert es nur im Plural.
Im Zentrum des Stückes steht der Geschichtenerzähler, Träumer und Lügenschmied Peer Gynt, der das Leben voll auskostet. Auf der Suche nach seinem Ich bereist er die halbe Welt, um am Ende eines langen Lebens festzustellen, dass er wie eine Zwiebel viele Schichten hat, aber keinen Kern – nie ist er bei sich selbst angekommen.
Bernadette Sonnenbichlers Inszenierung löst die Chronologie des Ursprungstextes aus dem 19. Jahrhundert zugunsten einer assoziativen Traumlogik auf: Als Peer Gynt, Lebemann und selbst ernannter Kaiser, in der Mitte seines Lebens durch eine tödliche Krankheit aus der Bahn geworfen wird und ihm am Krankenbett ein rätselhafter Besucher erscheint, versucht Peer Gynt das Sterben noch ein wenig hinauszuzögern. Er verzweifelt, jammert, wütet, verhöhnt den Tod und klammert sich mit aller Kraft ans Leben. Er, der sich zeitlebens durch die Flucht in die Fantasie jeder Festlegung und Verpflichtung entzogen hat, begibt sich auf eine Reise in die eigene Seelenlandschaft, um zu ergründen, was ihn im Innersten ausmacht. Ein letztes Mal spielt Peer Gynt die Rollen seines Lebens. Unterwegs trifft er auf zahlreiche andere Figuren, die sich als Spiegelungen, Facetten, Abspaltungen seiner selbst, als sein innerer Hofstaat entpuppen. Denn so viel steht fest – wenn es ein Ich gibt, dann existiert es nur im Plural.
Stationen der Handlung
1 »Wären Sie so liebenswürdig, mir Ihren verehrten Kadaver zu vermachen?«
Peer Gynt erhält an seinem Krankenbett Besuch von einem rätselhaften Fremden, der ihn angesichts des bevorstehenden Todes vorsorglich um seinen Leichnam bittet. Peer Gynt wird wütend und jagt den ungebetenen Gast davon.
2 »Rette mich, Herr, aus tiefer Not!«
Die Krankheitsdiagnose verunsichert Peer Gynt zutiefst. Plötzlich ist es, als ob ein Sturm aufzöge. Er ist noch nicht bereit zu sterben und stemmt sich mit aller Kraft gegen den drohenden Untergang. Mit der Macht der Fantasie beschwört er die Orte seiner Kindheit und Jugend herauf.
3 »Peer, du lügst!«
In seiner Erinnerung erreicht Peer den halbverfallenen Hof im norwegischen Gudbrandstal, auf dem er aufgewachsen ist. Schon kommt ihm seine Mutter Aase entgegen, die den heimgekehrten Sohn dafür ausschimpft, dass er von der Heuernte davongelaufen sei und sich wochenlang im Gebirge herumgetrieben habe. Um Aase zu besänftigen, tischt Peer ihr die Lügengeschichte einer abenteuerlichen Rentierjagd auf. Als sie bemerkt, dass sie ihrem Sohn wieder einmal auf den Leim gegangen ist, redet sie sich erneut in Rage. Peers heilsame Fantasie droht zu kollabieren. Eine weitere glückliche Erinnerung verspricht Ablenkung: Auf Hägstadt, wo eine große Bauernhochzeit gefeiert wird, will Peer sich zwischen Braut und Bräutigam drängen.
4 »Ich will tanzen!«
Mads Moen will die reiche Bauerntochter Ingrid heiraten, die früher einmal in Peer Gynt verliebt war, und die sich nun nun vor ihm verbarrikadiert. Als das Fest in vollem Gange ist, lernt Peer Solveig kennen. Solveig zieht Peer mit Gerede über den Alkoholismus seines verstorbenen Vaters und die Grobschlächtigkeit seiner Mutter auf. Da wird er wütend und beginnt zu trinken. Vor dem Schmied Aslak und den anderen Männern prahlt er damit, wie er den Teufel in einer Nuss gefangen habe. Jetzt erst richtig in Fahrt gekommen, will Peer Solveig zum Tanzen zwingen. Doch er ist zu wild. Sie lässt ihn abblitzen. Daraufhin beschließt Peer, Ingrid zu entführen. Die Dorfgemeinschaft verfolgt das Geschehen aus der Ferne und droht Peer Gynt damit, ihn abzuschlachten.
5 »Kommt, ihr Totenvögel.«
Die Todesdrohungen der Bauern stürzen Peer Gynt in tiefste Finsternis. Er fühlt sich verfolgt und von einem unsichtbaren Feind umlauert. Es ist der geheimnisvolle Große Krumme, der in Rätseln spricht. – »Wer bist du?«
– »Ich bin ich selbst.«
Ist Peer sein eigener Gegner? Seine Sinne scheinen überreizt. Blindlings schlägt er um sich, verletzt sich selbst und taumelt zu Boden.
– »Ich bin ich selbst.«
Ist Peer sein eigener Gegner? Seine Sinne scheinen überreizt. Blindlings schlägt er um sich, verletzt sich selbst und taumelt zu Boden.
6 »Hau ab, Mann. Ich werde nicht sterben.«
Als Peer Gynt erwacht, stellt er fest, dass er sich noch immer im Krankenhaus befindet. Auf seinem Bett sitzt der eigenartige Fremde, der ihn einst um seinen Leichnam bat. Er stellt sich als Freund vor, der es gut mit dem Sterbenden meine. Peer ist nicht bereit, sich auf existenzielle Fragen um Angst und Tod einzulassen. Abermals verjagt er den Fremden.
7 »Ich werde wahnsinnig! Das geht nicht! Ich bin Autodidakt!«
In einer albtraumhaften Episode wird Peer Gynt von der Braut heimgesucht, die er einst auf Hägstadt entführt und dann sitzen gelassen hat. Ingrid, auf dem Weg zu ihrer eigenen Beerdigung, zieht einen Sarg hinter sich her. Geplagt von dieser neuen Todesvision hadert Peer Gynt mit Gott, der ihn nicht erhört und ihm nicht beisteht. Peer bäumt sich auf und versucht seine Ängste zu besiegen, indem er sich als potenten Geschäftsmann imaginiert.
8 »Doch ich will ich sein, en bloc, total, das Gynt’sche Ich herrscht nur global.«
An Bord einer Luxusyacht, die vor der Küste Marokkos vor Anker liegt, stellt sich Peer Gynt einer zugedröhnten Männergesellschaft, die durch Waffenhandel zu Geld gekommen ist, als Kapitalist und Sklavenhändler vor. Auf interessierte Nachfrage gibt er den Herren, die ihn für seine Erfolge bewundern, Einblick in sein Geschäftsleben.
9 »Kreuzzug dem Tod«
Auch die Hybris des Geschäftsmanns Gynt stellt sich als Horrorvision heraus. Er zwingt sich aufzuwachen und findet sich doch nur in einem neuen Traum wieder. In der Wüste begegnet Peer Gynt einem Affen und will sich selbst in einen Primaten verwandeln. Schließlich nimmt der Affe seinen Kopf ab und gibt sich als Mensch zu erkennen. Die Wüste weckt Peers Größenwahn aufs Neue. Gynt plant ein neues Großprojekt: Die Bewirtschaftung des nutzlosen Landes, die Gründung eines neuen Staats Gyntiana mit Peeropolis als Hauptstadt. »Freiheit soll herrschen in der ganzen Welt! Neuen herrlichen Zeiten schreiten wir entgegen.« Mit dieser Zuversicht und Willenskraft lässt sich auch der Tod besiegen.
10 »Peer, mein verlorenes Schwein«
Peer Gynt befindet sich noch immer im Krankenhaus. Als ihm seine Mutter Aase und der seltsame Fremde erscheinen, um angeblich seine Seele und seinen Körper zu retten, wird er misstrauisch und kauert sich in einer Ecke zusammen.
11 »Ein Riegel muss sein, die Hütte zu bergen vor all den tückischen Wesen und Zwergen«
Um sich vor bedrohlichen Gedanken und Wesen zu schützen, fantasiert Peer Gynt ein Schloss herbei, in Wirklichkeit eher eine ärmliche Hütte. In diesem abgeriegelten Paradies möchte er mit Solveig leben. Als sie Gestalt annimmt, spricht Peer sie als seine »Königstochter« an. Solveig geht ihm voraus in das gemeinsame Heim.
12 »Erkennst du das Ferkel nicht an seinem Fell?«
Kurz bevor Peer Gynt Solveig in die Schutzhütte folgen kann, erscheint ihm die Grüne, die Tochter des Trollkönigs, im Schlepptau der gemeinsame Sohn – eine Mischung aus Troll und Mensch. Die Trollkönigstochter hat ihre Hütte direkt neben Peers gebaut. Sie fordert Zärtlichkeiten ein und dass Peer seinen Sohn großzieht.
13 »Bei uns Trollen ist es so...«
In einer Rückblende erfahren wir mehr über die Welt der Trolle, zu der sich Peer Gynt Zugang verschaffen wollte. Der Trollkönig ist bereit, dem Menschensohn, seinen Thron und das Reich zu überlassen, wenn Peer Gynt die Trolltochter heiratet, seine Menschlichkeit aufgibt und selbst ein Troll wird. Allerdings muss er auch das alles entscheidende Rätsel lösen: »Was ist der Unterschied zwischen Troll und Mensch?« Die Antwort lautet: Die Menschen streben danach, sie selbst zu sein und sich selbst zu verwirklichen. Die Trolle hingegen haben nur das eine Interesse: sich selbst genug zu sein, zufrieden mit sich und ihrer Umwelt. Diese Anschauung muss Peer sich zu eigen machen, wenn er wirklich regieren will. Außerdem ist eine Augenoperation vorgesehen, damit alles schön erscheint. Jetzt reicht es Peer Gynt endgültig. Und auch der Trollkönig hat ihn satt.
14 »Ich habe Befehl, Ihre Seele unverzüglich zu beschlagnahmen.«
Als die Trollfantasie in sich zusammenstürzt, erscheint zum vierten Mal der seltsame Gast, der endlich seine Identität enthüllt. Er ist der Knopfgießer, der verbrauchte Menschenwesen einsammelt und gekommen ist, um Peer Gynt zu neuem Menschenmaterial umzuschmelzen. Alle Menschen ohne Selbst-Bewusstsein kommen in den Schmelztiegel. Doch Peer Gynt wehrt sich gegen die Einordnung als Durchschnittsmensch. Er verspricht Zeugnisse, Atteste und Beweise vorzulegen, dass er sein ganzes Leben er selbst gewesen sei. Der Knopfgießer ist beeindruckt und gibt Peer Gynt einen kurzen Aufschub.
15 »Machen wir einen Strich durch die alten Affären. Ich brauche dringend deine Hilfe!«
Auf der Suche nach Zeugen begegnet Peer Gynt dem sichtlich gealterten Trollkönig. Die Bitte nach einer Urkunde schlägt der alte Troll ihm ab. Er argumentiert, Peer habe die Geisteshaltung der Trolle, sich selbst genug zu sein, längst verinnerlicht und sei kein nach Selbstverwirklichung strebender Mensch. Er fragt: »Hast du nicht stets vor allem die Augen verschlossen, deine eigene Wirklichkeit erschaffen und grundsätzlich nichts getan?« Peer Gynt wird wütend. Wie kann es sein, dass ihm der Trollkönig den Charakter eines Nesthockers und Spießbürgers zuschreibt?! Zum Abschied ruft Peer ihm einen Fluch hinterher.
16 »Wir sind Gedanken. Du musst uns denken!«
Die Zeit verrinnt, während Peer Gynt seinen eigenen, quälenden Gedanken und seinem Zorn ausgesetzt ist. Die Frist ist zu Ende.
17 »Letzte Chance! Allerletzte!«
Abermals erscheint der Knopfgießer und erinnert Peer Gynt daran, dass seine Lebenszeit abgelaufen ist. Abermals beginnt Peer zu feilschen. Wenn es schon zu Ende geht, will Peer wenigstens als großer Sünder, nicht als Durchschnittsmensch in die Geschichte eingehen. Für den Himmel ist er »nicht luftig genug«, das steht sowieso fest. Aber als großer Sünder wäre ihm wenigstens ein Platz in der Hölle sicher. Mit dem Versprechen, ein Register mit all seinen Verfehlungen aufzutreiben, ringt Peer Gynt dem Knopfgießer eine allerletzte Frist ab.
18 »Das Leben hat einen Fuchs hinterm Ohr. Versucht man es zu packen, fängt man was anderes oder gar nichts.«
In der Gestalt eines alten Mannes, der eine Zwiebel schält, erkennt Peer Gynt sich selbst. Wie die Zwiebel hat auch er viele Schichten, aber keinen Kern – eine bedeutende Erkenntnis für Peer Gynt, der Zeit seines Lebens auf der Suche nach seinem Ich war.
19 »Ich habe also die Ehre, mit einem Hmhmhm persönlich zu sprechen?«
Auf seinem Weg trifft Peer Gynt einen Pfarrer, bei dem er die Beichte ablegen möchte. Doch selbst seine größten Sünden werden als läppisch abgetan. Der Pfarrer, unter dessen Soutane ein Pferdefuß sichtbar wird, erkennt sein Gegenüber nicht und eilt weiter zum Kap der Guten Hoffnung, wo er sich Peer Gynt schnappen will.
20 »Die Vernunft ist tot. Es lebe Peer Gynt.«
In der Psychiatrie wird Peer Gynt von Direktor Begriffenfeldt als Heilsbringer geadelt. Denn hier sperre sich jeder in seinem Ich ein und tauche auf den Grund des Selbst. Die Privatsphäre werde hermetisch abgedichtet. Folglich sei niemand geeigneter als Peer Gynt, Kaiser und leuchtendes Beispiel zu sein. Ungewollt stiftet er zwei Patienten zum Suizid an. Diese Taten bringen Peer um den Verstand. Es ist etwas gerissen. Er bricht zusammen, verliert seine Identität und lässt los.
21 »Danke für alle Tage, danke für alle Schläge und die Lieder. Gleich sind wir da.«
Peer Gynts Frist ist endgültig abgelaufen. Auf einer letzten Schlittenfahrt ins Licht nähert er sich dem sagenumwobenen Soria-Moria-Schloss. Solveig, Aase und andere gute Geister sind an seiner Seite.