Chronik
Junges Schauspiel

Vom Gründgens-Platz zur Münsterstraße bis ins Central – und hinaus in die Welt

Eine kleine Geschichte in sechs Akten anlässlich von 30 Jahren Junges Schauspiel — von Stefan Fischer-Fels, künstlerischer Leiter des Jungen Schauspiels
Zum Beispiel Juli 2019. Die Münsterstraße 446, Heimstätte des Jungen Schauspiels, liegt im Sonnenlicht. Koffer werden hineingetragen. Das Junge Schauspiel kehrt gerade von einer Tournee aus Indien zurück, wo es »Paradies« von Lutz Hübner und Sarah Nemitz in der Inszenierung von Mina Salehpour in Bangalore und Pune gespielt hat. Gleichzeitig bejubelten die Düsseldorfer:innen das erste Gastspiel des Moskauer Kindertheaters »Teatrium on Serpukhovka«. Eine erfolgreiche Saison neigt sich dem Ende zu, die besten Zuschauer:innenzahlen seit Jahrzehnten können verzeichnet werden. Düsseldorf liebt sein Kinder- und Jugendtheater und das schon seit dem Jahr 1976. War das schon immer so, was gab es vor 1976 und wie hat alles begonnen? Eine Spurensuche führt zurück in das Düsseldorf der 1960er Jahre.
Das Junge Schauspiel in der Münsterstraße 446.
Foto: Melanie Zanin

I. Theater für Junges Publikum unter den Intendanten Stroux und Brecht

Auf dem Weg zu einem neuen Theaterbau am Gustaf-Gründgens-Platz hatte sich in den wildbewegten 1960ern der damalige Intendant Karl-Heinz Stroux mit seinen Dramaturgen, darunter Günther Beelitz und Dieter Forte, die Frage gestellt, ob es für Kinder und Jugendliche noch etwas anderes geben könnte als den »Wilhelm Tell« für Gymnasiast:innen. Er beauftragte seine Dramaturgie, zusammen mit dem städtischen Schulamt und der engagierten Schulrätin Ruth Fendel, für das neue Schauspielhaus am Gustaf-Gründgens-Platz ein Programm für Kinder zu entwickeln. In der Spielzeit 1970/71 war es dann soweit. Im Namen des Schulamtes schrieb Ruth Fendel an alle Schulkinder der Klassen 1 bis 8: »Das Theater ist nämlich keine Einrichtung, die nur für Erwachsene vorhanden ist. Das Theater, über das wir Euch schreiben, ist Euer Theater, mit Stücken für Euch und mit Schauspielern, die nicht nur für Euch spielen, sondern sich auch mit Euch unterhalten möchten. (…) Wir haben einige schöne Theaterstücke ausgesucht. Mit dem ersten fangen wir schon bald, Anfang Oktober, an. Es heißt ‚Stokkerlok und Milllipilli‘ und ist … aber nein, das werde ich noch nicht verraten. Komm, schau es Dir an!«

Das erste Kinderstück wurde im Kleinen Haus am Gründgens-Platz vom Ensemble des Schauspielhauses gespielt. 1972 nahm der neue Intendant Ulrich Brecht den Gedanken auf und zeigte zum ersten Mal Kinderstücke zur Weihnachtszeit auf der Großen Bühne. Legendär geworden ist die Inszenierung »Klaus Klettermaus und die anderen Tiere im Hackebackewald« (1972), ein Stück, das 2002 in einer »kleinen« Inszenierung von Friederike Betz mit dem Kinderklub des Kindertheaters noch einmal zu einem großen Erfolg geführt wurde. Von einem ganzjährig spielenden Kindertheater aber war die bestehende Konstruktion noch weit entfernt.

II: Gründung des eigenständigen Kinder- und Jugendtheaters

Günther Beelitz, der unter Stroux die ersten Gedanken für ein Kindertheater skizziert hatte, machte nun, als er 1976 Intendant wurde, ernst mit einem Kindertheater am Düsseldorfer Schauspielhaus. Es sollte nicht nur (aber auch), wie er beschrieb, aus »Alibi-Weihnachtsmärchen« bestehen und nicht auf ein »Mini-Erwachsenentheater« reduziert sein, sondern eigenen, kindgerechten Regeln folgen. Er beauftragte Barbara Oertel, gebürtige Leipzigerin sowie ehemalige Wiener Studienkollegin und zu der Zeit noch Chefdramaturgin am Staatstheater Saarbrücken, mit der Gründung einer eigenständigen Sparte »Kinder- und Jugendtheater am Düsseldorfer Schauspielhaus«. Barbara Oertel hatte bereits an früheren Wirkungsstätten Konzerte und Aufführungen für Kinder organisiert. Sie hatte eine Vision und ein modernes Bild von zeitgenössischem Theater für Kinder, das Sprache, Bewegung, Musik, neue Räume und ungewöhnliche Materialien einschloss. Sie entwickelte »Spielstunden nach Noten«, große musikalische Märchenstücke und ein »assoziatives Bildertheater«, im Jahr 1987 sogar in Koproduktion mit der Deutschen Oper am Rhein.

Barbara Oertel träumte von einem »Theater zum Anfassen«, sowohl zum Schauen als auch zum Mitmachen. Sie veranstaltete Formate wie »Spiele, die man nicht kaufen kann« mit dem Ensemble. Und sie hatte – das bestätigen alle, die sie erlebt haben – eine unbändige Energie: »Sie war ein Wirbelwind der Phantasie«, schrieb Günther Beelitz. Ideen und Konzepte gab es also genug. Nur keine Räume. Das neu gegründete »Kindertheater« musste um jeden Termin im Kleinen oder Großen Haus kämpfen, meistens wurde es abgewiesen: Geht nicht. Gibt‘s nicht. Tut uns leid. Es fehlte an allem: Personal. Bühnen. Probebühnen. Um arbeiten zu können, wurde als Kompromiss zeitweilig von 8 bis 12 Uhr geprobt, bevor die nächste »Schicht« probte, immer in Konkurrenz mit dem Abendspielplan des »Erwachsenentheaters«. Barbara kämpfte hartnäckig und bezeichnete sich selbstironisch als »Schweineschwänzchen des Erwachsenentheaters«.

Sie entschied sich, vorerst auszuweichen, denn: Wer kein Haus hat, der geht in die Stadt. Ein Zelt musste also her. Es wurde auf den Gründgens-Platz gestellt, damit Kindertheater stattfinden konnte. Die Zuschauer:innen saßen auf umgestülpten Blecheimern. Auch wurde mobil in Jugendfreizeiteinrichtungen, Turnhallen, Messehallen, Gemeindesälen gespielt. 1977 stieß die Theaterpädagogin Ute Kessler dazu, die dem Haus bis zu ihrer Pensionierung im Jahr 2007 treu blieb, ab 1993 vorrangig dem Kindertheater zugeordnet. Es ging bergauf, auch dank der vielen engagierten Lehrer:innen. Aber der Spielort Gründgens-Platz war, bei allem Enthusiasmus und trotz zentraler Lage, kein Standort für alle Zeiten. Die Suche nach einem geeigneten Ort für das erfolgreiche »Modell Kindertheater« begann Ende der 1970er Jahre.
Foto: Melanie Zanin

III: Aufbruch vom Gründgens-Platz aus

In den 1970er Jahren verfolgte das nordrhein-westfälische Ministerium für Städtebau, insbesondere Staatssekretär Karl Ganser, das Ziel, ehemalige Industriestätten neu zu beleben. Die alte Fabrik Schwietzke, weit draußen im Nordosten von Düsseldorf, war in Konkurs gegangen. Seitdem verwahrloste das Gebäude, wurde nur gelegentlich von Punkbands oder freien Künstler:innengruppen in Beschlag genommen. Anfang der 1980er entschieden Stadt und Land, den Wohnungsbau im Stadtteil Rath/Mörsenbroich zu entwickeln und die Industriebrache kulturell zu nutzen. Erste Überlegungen, das Kindertheater dort unterzubringen, machten die Runde in Politik und Verwaltung. Damals entstanden viele Theaterhäuser für Kinder an den Rändern der Städte, denn man ging davon aus, dass die organisatorischen Voraussetzungen für Theaterbesuche durch Schulen – insbesondere durch Bustransfers – auch in Rath/ Mörsenbroich gegeben seien.

Und schon 1980 verließ das Kindertheater sein »Mutterhaus« im Zentrum Düsseldorfs und bezog die provisorisch zum Theater umgebaute ehemalige Betriebskantine der Fabrik Schwietzke, die damals auf dem heutigen Vorplatz des Jungen Schauspiels stand. Maximal 220 Plätze standen im ersten Stock zur Verfügung, das Dach musste bei Sonnenschein mit einem Gartenschlauch gewässert werden, um die unerträgliche Hitze im Raum zu lindern. Die Bühnenbilder mussten mit einem Kran durch die Fenster angeliefert werden, die Schauspieler:innen bei Sturm und Regen über eine Eisentreppe im Freien zu ihren Auftritten gelangen. Und die Toiletten für das Publikum befanden sich in Räumen unmittelbar hinter der Bühne. So entstand die berühmt-berüchtigte Düsseldorfer »Pinkelansage« vor jeder Vorstellung: Einlass war 30 Minuten vor Vorstellungsbeginn, damit alle Kinder noch rechtzeitig vor Vorstellungsbeginn auf die Toilette gehen konnten. Während der Vorstellung hätten sie über die Bühne laufen müssen.»Kikerikiste« von Paul Maar war die erste Münsterstraßen-Inszenierung am 24. August 1980.

Nebenbei gründete Barbara Oertel auch das Jugendtheater, denn anfangs spielte das Kindertheater nur für die 6- bis 14-Jährigen (1. bis 8. Klasse). Mit der Zunahme der Jugendarbeitslosigkeit und gesellschaftspolitischen Forderungen zu Beginn der 1980er – „Kultur / Theater für alle“ – wurden auch jugendspezifische Themen und Stücke im Theater aufgegriffen. In Düsseldorf machte am 13. Januar 1982 der Autor und Regisseur Peter Heusch mit der Uraufführung »Ich heiße Irene Haller – und Du?« für Jugendliche ab 13 Jahren den Anfang, eine Aufführung, die sich gezielt auch an bildungsfernere Schüler:innen richtete. Ein Jahr später feierte eine Neubearbeitung von »Antigone – wer ist das?« für Jugendliche Premiere in der Münsterstraße.

An einem ihrer ersten Tage an ihrem neuen Arbeitsplatz schaute Barbara durch das Fenster direkt ins »Allerheiligste« der Fabrik Schwietzke: die Montagehalle. »Da will ich rein!« rief sie und arbeitete unermüdlich weiter an ihrem Traum. Zuerst allerdings musste sie heftige Angriffe abwehren. In die erste Spielzeit von Intendant Beelitz fällt auch die Beinahe-Schließung der kleinen Abteilung. Denn auch Düsseldorf war wie viele andere Kommunen auch nicht von der Veränderung der Arbeitswelt und der damit verbundenen Strukturkrise der Wirtschaft des Ruhrgebiets verschont geblieben. Die Gewerbe- und die Einkommenssteuer sprudelte nicht wie früher. Düsseldorf musste heftig sparen, das Schauspielhaus war davon nicht ausgenommen.

Zum drohenden finanziellen Aus kam noch der lange geplante und nun anstehende Abriss der alten Fabrik. Sollte das Rad zurückgedreht werden? Kindertheater wieder als »Schweineschwänzchen« am Gründgens-Platz stattfinden oder gar gänzlich beendet werden? Barbara mobilisierte alle wohlmeinenden Kräfte der Stadt. Beelitz unterstützte sie. Es gab inzwischen zahllose Fans des Kindertheaters, Eltern, Lehrer:innen, Kinder. »Ich finde es sehr schade, wenn ihr Theater zu machen würde. Denn wir spielen in der Schule auch Theater. Und ihr Theater ist das schönste hier in Düsseldorf«, brachte ein Schüler der Grundschule Rather Kreuzweg die Sorgen um‘s Kindertheater auf den Punkt.

Der Verein der Freunde und Förderer des Kinder- und Jugendtheaters am Düsseldorfer Schauspielhaus gründete sich, Unterschriften wurden gesammelt, Lobbyarbeit geleistet und Öffentlichkeit mobilisiert. 1985 fand das »1. Kinder- und Jugendtheatertreffen NRW« in Düsseldorf statt, das heute unter dem Namen »Westwind« einen bedeutenden Platz in der deutschsprachigen Theaterlandschaft einnimmt, und versammelte erstmals die junge Theaterszene aus ganz NRW in Düsseldorf.
Auf dem Bild: »Die Schneekönigin« nach Hans Christian Andersen mit Anna Beetz, Bernhard Schmidt-Hackenberg.
Foto: David Baltzer

IV: Start in der Spielstätte Münsterstraße / Karl-Röttger-Platz 1

Inzwischen war Volker Canaris Intendant des Schauspielhauses geworden. Unter seiner Leitung kam es zum großen »Wunder«, dem Theater(neu)bau und dem Umzug in die Fabrikhalle an der Münsterstraße. 1988, zeitgleich mit den Veranstaltungen zur 700-Jahr-Feier von Düsseldorf, beeindruckte das Kindertheater zunächst einmal die Vertreter:innen der Stadt mit einer Demonstration vor dem Schauspielhaus auf dem Gründgens-Platz: Angeführt von einem durch Kaufhof gesponserten 34 Meter langen »Lindwurm« traten viele, auch prominente Kämpfer:innen für den Erhalt, sogar für den Neubau des Kindertheaters an. Barbara Oertel hielt Vorträge über bessere Bedingungen für ihr Kindertheater und forderte für Kinder und Jugendliche die gleiche Qualität, »wie man sie ganz selbstverständlich jedem anderen Kulturinstitut in der Landeshauptstadt zubilligt. Es will mir einfach nicht in den Kopf, dass in Sachen Kultur für Kinder und Jugendliche immer ‚viel weniger‘ als für Erwachsene reichen soll«.

Und dann hatte Düsseldorf, hatte Barbara ihre ganz besondere Kindertheater-»Wende« errungen. 1989 war es soweit: Die Pläne für den Ausbau der Fabrik Schwietzke waren fertig, die Betriebskantine wurde abgerissen. Das Kindertheater spielte gerade wieder heimatlos etwa in den Pavillons der Bundesgartenschau in Düsseldorf, dort, wo heute das AKKI agiert.1993 eröffnete endlich das eigene Theater am Karl-Röttger-Platz 1* bzw. Münsterstraße 446. Was für ein Fest, was für eine Freude! Im Übrigen handelte sich Barbara Oertel gleich den nächsten Ärger ein, als sie den Namen »Kindertheater« infrage stellte: Sie argumentierte, dass viele immer noch dächten, dort würden Kinder spielen. Und Jugendliche würden nicht in ein Kindertheater gehen. Ausnahmsweise setzte sich Barbara Oertel in diesem Punkt nicht durch. Es blieb vorerst beim Namen »Kinder- und Jugendtheater am Düsseldorfer Schauspielhaus«. Die gleiche Diskussion hatten wir unter der damaligen Intendantin Amélie Niermeyer im Jahr 2006. Dies führte zur Umbenennung in »Junges Schauspielhaus«. Programmatisch schrieb Barbara Oertel zum Start an der Münsterstraße: »Wir wollen junge Menschen auf dem schwierigen Weg begleiten, erwachsen zu werden, sich in dieser Welt einzurichten und eigene Utopien zu suchen – nicht mit Rezepten, sondern mit Theatergeschichten, die herausfordern zu eigenen Fragen … und Antworten.«

V: In Riesenschritten von 1993 bis heute

Seit 2023 – 30 Jahre! – besteht ein Kinder- und Jugendtheater als eigenständige Säule mit eigener Spielstätte. Überraschend und viel zu früh starb Barbara im Jahr 2002. Es folgte eine Interimsspielzeit unter Ute Kessler und von 2003 bis 2011 ein Neustart unter mir, Stefan Fischer-Fels, mit den Schwerpunkten Autor:innen- und Uraufführungstheater sowie „magischer Realismus“. Als ich die Leitung des Grips-Theaters in Berlin antrat, übernahmen zuerst Barbara Kantel (2011–2014) und danach Christof Seeger-Zurmühlen (2014–2016) die Geschicke des Jungen Schauspielhauses. Mit Beginn der Intendanz von Wilfried Schulz kehrte ich als künstlerischer Leiter des Jungen Schauspiels nach Düsseldorf zurück. Der neue Name betont, dass das Junge Schauspiel nun nicht mehr am Schauspielhaus nur angedockt, sondern eine starke und profilierte eigenständige Sparte ist. Die Bedeutung eines Kinder- und Jugendtheaters als Treffpunkt der Generationen und Ort der friedlichen Auseinandersetzung nimmt zu in Zeiten radikalen gesellschaftlichen und sozialen Wandels, in Zeiten der Angriffe auf unsere Demokratie, auf Vielfalt und Meinungsfreiheit und der notwendigen Neuerfindung unseres Zusammenlebens.

Auch für das »Mutterhaus« am Gründgens-Platz ist das Junge Schauspiel, das junge Menschen an die Darstellenden Künste heranführt, fundamental wichtig für die kulturelle Bildung kommender Generationen. Damit auch in Zukunft niemand auf die Idee kommen kann, ein Schauspielhaus mitten in der Stadt infrage zu stellen.

Der Gedanke »Wir sind EIN Haus« leitet die gemeinsame Arbeit unter dem Dach des D’haus. Das »Café Eden« etwa entstand als Begegnungsort für Neubürger:innen und Düsseldorfer »Ureinwohner:innen«. Die interkulturelle und internationale Öffnung des Jungen Schauspiels wurde konsequent vorangetrieben. Junge Regisseur:innen wie Jan Friedrich, Grete Pagan und Carmen Schwarz gaben neben etablierten Regisseur:innen wie Farnaz Arbabi, Liesbeth Coltof, Jan Gehler, Robert Gerloff und Sara Ostertag ihre Visitenkarte ab. Hausregisseur wurde der Belgier Gregory Caers, der gleich mit drei Inszenierungen Maßstäbe setzte: »Odyssee«, »Obisike – Das Herz einer Löwin« und »Adams Welt«. Das ist ebenso feines und poetisches wie kraftvolles und physisches Bildertheater voller Deutungsmöglichkeiten und Geheimnisse, nicht nur für Kinder.
Auf dem Bild: »Time to Shine« von Takao Baba und Ensemble mit Valentin Schwerdfeger, Bounracksa Phomkoumphon, Solomon Quaynoo und Natalie Hanslik.
Foto: David Baltzer

VI. Junges Schauspiel: Pandemie und Zukunftspläne

Im Januar 2020 noch waren ein Gastspiel und eine Koproduktion mit dem Kindertheater in Peking geplant, das dann pandemiebedingt abgesagt werden musste. Wie für so viele Kulturschaffende war die Pandemie eine riesige Herausforderung: Das Junge Schauspiel hat sich den Schließungswellen entgegengestemmt und kurzerhand Theatervorstellungen als »Unterricht an anderem Ort« deklariert und wo immer es möglich war, weitergespielt, gestreamt und den Kontakt zu Kitas, Schulen und Familien aufrechterhalten. Denn Kinder brauchen lebendige Kunst als Trost, als Spiegel, Heilmittel und als Unterhaltung, auch und gerade in Krisenzeiten. Coronabedingt entstanden Open-Air-Inszenierungen wie »Fleders Reise«, »Der überaus starke Willibald« (auf dem Gründgens-Platz), »Die Geschichte vom Löwen«, die Uraufführung von »Der nicht malen konnte« nach dem Buch von Martin Baltscheit und »Panda-Pand«, die Uraufführung des Kinderbuches von Saša Stanišić.

Ein besonderes Kennzeichnen wurden internationale Koproduktionen wie »Odysee«, »Obisike«, »Imagination TV« und »Der Schatz«. Ein weiteres Highlight markierte »Theater der Welt«, das größte internationale Theaterfestival im deutschsprachigen Raum, das 2021 die Welt nach Düsseldorf einlud. Zum ersten Mal in der Festivalgeschichte fand ein Programm für junges Publikum mit Uraufführungen von Jordan Tannahill (»Ist mein Mikro an?«) und David Paquet (»Das Gewicht der Ameisen«) statt, weiterhin Gastspiele u.a. aus Israel, Mexiko, Kamerun, Nigeria und den Niederlanden sowie ein internationaler Jugendkongress, der 100 Jugendliche aus zehn Ländern von vier Kontinenten eine Plattform bot. Erstmals in der Festivalgeschichte ging der renommierte »ITI«-Preis mit Jetse Batelaan und sein Artemis Theater an einen »Kindertheatermacher«. Eine Podiumsdiskussion mit Silvia Andringa, Jetse Batelaan, Liesbeth Coltof und Guy Corneille – drei der herausragendsten niederländischen Theaterschaffenden im Feld des Kinder- und Jugendtheaters – ergänzte die Auseinandersetzung mit Kunst für ein junges Publikum.

Die Spielzeiten 2021/22 und 2022/23 waren, bedingt durch die Auswirkungen der Pandemie auf das Leben von jungen Menschen, stark geprägt von der Auseinandersetzung mit Ängsten in Inszenierungen wie »Bambi & Die Themen«, »Das Leben macht mir keine Angst«, »Am liebsten mag ich Monster«, »Don Giovanni« oder »K wie Kafka«. Doch auch die Lust auf Leben, Glanz, Glamour und Fantasy werden künstlerisch gefeiert – mit Inszenierungen wie »Das Mädchen, das den Mond trank«, »Time to Shine« und »Der Teufel mit den drei goldenen Haaren«. Das Junge Schauspiel ist nun wieder auf Reisen und folgt Einladungen zu »Zwischenstücke« nach Mülheim/Ruhr, zum dritten Mal hintereinander zum Festival »Augenblick Mal!« nach Berlin, zu »Westwind« nach Bonn und zu »Shäxpir« nach Linz und erlebte ein umjubeltes Gastspiel mit »Panda Pand« in São Paulo.

Das Junge Schauspiel ist heute nicht nur »kultureller Grundversorger« für Kinder, Jugendliche und Familien der Stadt, es ist auch Botschafter und Exportschlager Düsseldorfs, spielt in Brasilien, Südafrika, Russland, Belgien, Indien, Nigeria, in Berlin, Oberhausen, Gütersloh und Dortmund. Es ist anerkannt und respektiert als unersetzlich bei Stadt und Land, besucht von jährlich durchschnittlich mehr als 60.000 Menschen aller Generationen, die hier oftmals ihre erste Berührung mit dem Theater erleben – für manche der Beginn einer lebenslangen Liebesbeziehung.

Im Dezember 2023 feierte das Junge Schauspiel 30 Jahre Kinder- und Jugendtheater in der Münsterstraße: Das sind geschätzte 2 Millionen kleine und große Besucher:innen, 110 Uraufführungen, Auftragswerke, Gegenwartsstücke und Ensembleproduktionen, 64 Klassiker der Kinder- und Weltliteratur (von »Momo« bis »Antigone«), 15 Grimm’sche Märcheninszenierungen und 6 Werke von Hans-Christian Andersen (3 Schneeköniginnen alleine in 30 Jahren!), 20 Mitspielstücke, 10 Mythen und Sagen (von »Artus« bis »Obisike«) aus dem europäischen und dem afrikanischen Sagenkreis, unzählige Klubpremieren von und mit Kindern und Jugendlichen als Darsteller:innen, plus zahlreiche Preise sowie Festivaleinladungen in die ganze Welt! Das ist die Umsetzung des Traumes vom Recht der Kinder auf Kunst und Kultur, nicht nur zur Weihnachtszeit. 30 Jahre Kinder- und Jugendtheater in der Münsterstraße heißt: häufig hart gekämpft, beständig gewachsen und – niemals darf das Wichtigste vergessen werden: die Kinder und Jugendlichen ernst- und wahrzunehmen als Ziel und Ausgangspunkt der künstlerischen Arbeit.

Ein neues Kapitel beginnt alsbald, ein weiterer Meilenstein in der Geschichte des Jungen Schauspiel: Der Umzug ins Central am Düsseldorfer Hauptbahnhof, eine weitere Spielstätte des Düsseldorfer Schauspielhauses, ist für das Jahr 2025 geplant. Und 2026 feiert das Junge Schauspiel erneut und nach 30 Jahren Münsterstraße – seinen 50. Geburtstag! Ein halbes Jahrhundert Theater für junge Menschen in Düsseldorf, denn seit 1976 gibt es die Sparte am Haus. Lasst uns gemeinsam jede Anstrengung unternehmen, dass alle in dieser Gesellschaft auch weiterhin mit der Kunst eine lebenslange Liebesbeziehung eingehen können. Kunst für ein junges Publikum ist kein Schokoriegel, sondern nahrhafte nachhaltige Kost, die allen zusteht. Wie sagte es einer der Gründerväter, Günther Beelitz? »Das Geburtstagskind ist insbesondere unter den heutigen gesellschaftspolitischen Entwicklungen nicht mehr wegzudenken. Nein, heute ist das Junge Schauspiel eine Voraussetzung für den Gesamtaspekt Düsseldorfer Schauspielhaus, und kluge Kulturpolitiker, von denen es ja in Düsseldorf doch noch einige gibt, wissen darum und werden deshalb auch die notwendigen finanziellen Rahmenbedingungen zu schaffen wissen: als Investition in die Zukunft unserer Jugend. Deshalb: Spart nicht am Jungen Schauspiel, sondern klotzt – Ihr werten Politiker –, es wird uns alles zurückgegeben werden von den Heranwachsenden, wenn sie spielerisch erleben, wie Welt und Menschen zu verstehen und zu verändern sind.«

Deshalb am Ende der Geschichte, die am Gründgens-Platz begann und 2025 ins Herz der Stadt, ins Central, führt: Dank an die Gründerin und Pionierin, ohne die wir heute nicht von der Zukunft träumen könnten, danke, liebe Dr. Barbara Oertel-Burduli, danke Barbara!

— 01/2024

*Der Straßenname Karl-Röttger-Platz setzte sich nicht durch, dennoch ist es wichtig zu erwähnen, dass Karl Röttger in den 1920er Jahren die ersten Konzepte für ein »Theater für Kinder« und eine »Dramaturgie des Kindertheaters« in Düsseldorf verfasst hatte (»Das schöpferische und das spielende Kind. Das Kindertheater«, 1927) und erste Versuche mit Studierenden der Akademie des Schauspielhauses bestritt (Absolvent:innen der Düsseldorfer Schauspielschule waren u.a. Walter Oehmichen, später Gründer der Augsburger Puppenkiste, und Gustaf Gründgens).

Der Autor: Stefan Fischer-Fels, Dramaturg und Künstlerischer Leiter des Jungen Schauspiels am D’haus von 2003 bis 2011 und wieder seit 2016 als Mitglied der Gesamtleitung. Er war als künstlerischer Leiter zudem von 1993 bis 2003 und 2011 bis 2016 am Grips Theater in Berlin tätig.

Mitarbeit: Richard Isselhorst, Düsseldorfer Jugendamtsleiter 1988 bis 2003, zur Gründungszeit des Kindertheaters 1976 Koordinator für Behindertenhilfe der Stadt Düsseldorf. Referent des Jugenddezernenten bzw. des Oberstadtdirektors von 1978 bis 1988. Seit 2003 im Vorstand des Fördervereins. Ute Kessler, von 1977 bis 2007 Schulreferentin, Theaterpädagogin und Dramaturgin am Düsseldorfer Schauspielhaus, ab 1993 vorrangig im Kindertheater. 2002/3 Interimsleiterin des Kinder- und Jugendtheaters, seit 2007 im Vorstand des Fördervereins.